Gottesbeweis - Gottesindiz


Vor noch gar nicht allzu langer Zeit las ich (in dem empfehlenswerten Buch "Dienstanweisung für eine schöne neue Welt" von Peter Kreeft) von einem Gottesbeweis, der unter dem Schlagwort "Aut deus aut homo malus" bekannt ist. Es ist durchaus möglich, dass ich schob früher - in der Schule - einmal davon gehört hatte, aber ich erinnere mich nicht mehr daran. Schon als relativ junger Mensch störte mich aber die Verknüpfung der beiden Begriffe "Gott" und "Beweis", weshalb ich diesen Konzepten schon immer sehr kritisch gegenüber stand. Wie kann sich etwas rational beweisen lassen, was doch Gegenstand der Religion, besser: des Glaubens ist? Widerspricht sich das nicht selbst?


Auch heute will ich mit die Klassifizierung "Beweis" nicht zu eigen machen, sondern lieber von einem Gottes-Indiz sprechen, da sich, wie ich meine, sehr wohl einige Einwände gegen die Argumentation ins Feld führen lassen, wie ich weiter unten ausführen möchte. Dennoch, also obwohl es meines Erachtens kein zwingender Beweis ist, handelt es es sich hierbei zumindest um eine Begründung von einigermaßen großen Gewicht für die Behauptung, dass Jesus mehr als nur ein Mensch war, und aus diesem Grund finde ich es lohnend, sich näher damit zu befassen.


Das Gottesindiz "funktioniert" in etwa folgendermaßen: Entweder sagte Jesus (über sich selbst) die Wahrheit - dann ist er wirklich Gottes Sohn und somit selbst (ein) Gott -, oder er belog und täuschte sein Publikum, bewußt - dann war er ein schlechter und niederträchtiger Mensch - oder unbewußt - dann war er ein armer Irrer, ein Fall von extremer Geistesstörung! Beide Negativ-Folgerungen scheinen mit unseren Vorstellungen von der Person Jesu im äußersten Maße unvereinbar zu sein (der oben genannte Autor nennt viele einsichtige, rationale Argumente gegen diese Konstellation), dann bleibt aber nur noch die Positiv-Folgerungen: Jesus ist also tatsächlich der Sohn Gottes!


Eine recht beeindruckende Kette von Schlußfolgerungen, aber doch nicht so zwingend, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Jesu Aussagen über seine eigene Qualität sind Überlieferungen, möglicherweise wurden sie ihm von enthusiastischen Anhängern in den Mund gelegt. Oder: Jesus hat sich bei diesen Punkten allegorisch ausgedrückt, er lehrte ja auch sonst häufig in Gleichnissen. Schließlich ist sogar das Argument, niemals in der Geschichte der Menschheit sei ein Fall ähnlich der Person Jesu bekannt geworden, von gleichzeitig absoluten Autoritätsanspruch und so vollendeter Güte und Makellosigkeit der Lehre, kraftlos. Alleine die empirische Beobachtung, dass sich bisher alle anderen "Möchtegern-Messiasse" mehr oder weniger deutlich als Scharlatane erwiesen haben, rechtfertigt keinesfalls den Umkehrschluss: Weil niemanden sonst gelang, was Jesus gelang, muss dieser echt und wahrhaftig, also Gott sein. Jesus kann ebenso gut der "beste" Mensch gewesen sein.


Ich persönlich glaube (auch) nicht, dass Jesus ein Betrüger oder ein Irrer war. Auch halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass sein Gottesanspruch eine Erfindung seiner Jünger gewesen ist. Es sind aber eben nicht mehr als gute Gründe und hohe Wahrscheinlichkeiten, die für die Göttlichkeit Jesu sprechen, es sind keine zwingenden Beweise! Ich bin mir gar nicht sicher, ob Jesus selbst wirklich davon überzeugt war, selbst göttlicher Natur gewesen zu sein und absolute Macht zu besitzen, auch wenn einige neutestamentliche Bibelstellen das scheinbar unmissverständlich zum Ausdruck bringen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er seine diesbezüglichen Aussagen in einem übertragenen Sinn gemeint hat. Aber selbst wenn Jesus tatsächlich von seiner Göttlichkeit überzeugt war, muß diese von ihm empfundene Beziehung nicht zwangsläufig auch der Realität entsprechen, selbst wenn Jesus (ansonsten) geistig vollkommen gesund war.


Es geht mir hier - um das ganz deutlich zu machen - keinesfalls darum, den Glauben an Jesus in irgendeiner Form schlecht zu machen, noch will ich die Person Jesus in Misskredit bringen. Vielmehr ist es meine Absicht, die blind-ergebene, kritiklose, Glauben und Wissen ebenso verwechselnde wie Toleranz durch Gottesstaat ersetzende Gefolgschaft zu kritisieren und sie zu distanzieren von echtem, wahrhaften Glauben. Erstgenannte scheint mir gefährlich und stets der Möglichkeit des Missbrauchs ausgesetzt zu sein, letzterer hingegen immer mühsam, ja durch qualvolle Zweifel beinahe wesentlich bestimmt zu sein. Glauben, so wie ich diesen Begriff verstehe, unterscheidet sich doch gerade dadurch von Wissen, dass man sich niemals sicher sein kann, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, dass man immer mit der Möglichkeit eines Irrtums rechnen muss. Gottesbeweise in Zweifel zu ziehen, bekräftigt also nur die Qualität des Christentums als einer Religion.


Warum aber ist es besser, "nur" an Jesus als Sohn Gottes zu glauben, als dies unanfechtbar zu wissen? Nun, wo sich der (unsichere) Glaube an Christus in ein rational nicht zu leugnendes Faktum verkehrt, da wird aus der wahlfreien Orientierung eines christlichen Lebens ein auch nur die entfernteste Möglichkeit von Entscheidungsfreiheit eliminierender moralischer Determinismus. Ohne Freiheit verlieren wir aber auch unsere Menschenwürde, wir werden zu Robotern.


Eine Metapher soll das verdeutlichen:

Ich weiß, dass ein Flugzeug ohne Treibstoff abstürzt und die mit ihm reisenden Passagiere einer tödlichen Gefahr ausgesetzt sind, deshalb ist es keine "gute Tat", wenn ich es auftanke, sondern entspricht lediglich meinem natürlichen Selbsterhaltungstrieb. Es wäre ja ein Wahnsinn, diese "Vorsorge" zu unterlassen; meine Entscheidung, es zu tun, ist determiniert. Es gibt keine (rechte im Sinne von nicht in widernatürlicher Selbstzerstörung gipfelnde) Entscheidungsfreiheit, die Tat ist moralisch wertlos. Völlig anders hingegen verhält es sich in den folgenden Situationen: Unterwegs bittet mich jemand, ihm mein wertvolles Werkzeug für eine Reparatur zu leihen - ich kann nicht darauf warten, darum verspricht er mir, es mir später nachzuschicken. Oder ein Unbekannter steht abends vor meiner Wohnung und bittet mich, bei mir ein dringendes privates Telefongespräch führen zu dürfen - aus Gründen der Diskretion sollte ich den Fremden in meinem Telefonzimmer allein lassen, aber dort befindet sich auch wertvoller Schmuck. Oder jemand bitte mich, ihm spontan und formlos 1000 DM zu leihen - soll ich ihm die Summe ohne jede rechtsgültige Garantie wirklich überlassen? In all diesen Fällen tritt etwas anderes an die Stelle von sicherem Wissen über die Folgen meiner Entscheidung, etwas aus dem Bereich von Glauben und Vertrauen. Und gerade dieser Unterschied macht die im übrigen freiwillige Tat zu einer moralisch wertvollen! Die erwähnten Beispiele behandeln nicht von ungefähr alle das Thema Nächstenliebe, schließlich betrifft auch die Religion gerade und ganz zentral diesen Bereich des gesellschaftlichen Miteinander.


Worin liegt nun aber - um wieder zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurückzukommen - eigentlich der Wert dieses doch offensichtlich anfechtbaren Gottesindizes? Es sind die "guten Gründe", die zwar keinen zwingenden Charakter haben wie für eine Beweisführung notwendig, aber doch plausibel und vernünftig sind und somit der heute nur allzu gern vertretenen Alibi-Einstellung "Es gibt keinerlei vernünftige Gründe zu glauben, dass Jesus mehr war als ein weiser Mensch" etwas entgegenzusetzen haben. Es gibt sie eben doch, und vielleicht sind es ebenso viele für wie gegen diese "unerhörte" Behauptung eines einfachen Juden, dass er der wahre Sohn Gottes ist. Beide Seiten stehen sich meines Erachtens weder in der Quantität noch in der Qualität ihrer Argumente in etwas nach, so dass dem wirklich Interessierten tatsächlich die "Qual der Wahl" oder, anders ausgedrückt, die Würdigung seiner ganz persönlichen Meinung, nicht erspart bleibt.


Ich möchte schließen mit einem Zitat aus Fjodor Dostojewskijs Roman "Der Idiot", welcher sowohl die rationale Unfassbarkeit der Religion als auch ihr essentielles Wesensmerkmal auf eine sehr poetische Weise in Worte zu fassen wußte: "'Ganz genau', sagt die, 'ganz genau wie die Freude einer Mutter, wenn sie ihr Kindlein zum ersten Mal lächeln sieht, ist die Freude des Herrn, wenn er im Himmel sieht, wie ein Sünder aus vollem Herzen vor ihm zum Gebet niederkniet'. ... Dem Wesen des religiösen Gefühls kann man durch keine Spekulationen, durch kein Vergehen und Verbrechen und durch keine Atheismen näherkommen; das ist nicht Das, und es wird ewig nicht Das sein; hier ist ein Etwas, an dem die Atheismen ewig abgleiten, und ewig nicht darüber reden werden."